Eröffnungsrede der Soirée Suisse 2022

(gehalten am 8. September 2022, gekürzte Version, es galt das gesprochene Wort)

Sehr geehrte Gäste

Meine Gattin und ich begrüssen Sie ganz herzlich zur Soirée Suisse 2022!

Wer mich kennt und mich schon einmal reden gehört hat, der weiss: «Man sollte mir alles geben, nur nicht das Wort»

Von Diplomaten wird ja allgemein erwartet, dass sie lange reden, ohne dabei wirklich etwas zu sagen. In der Regel beruhige ich diesbezüglich die Zuhörerschaft gleich zu Beginn meiner Reden, indem ich ankündige, mich kurz zu halten und mich zu bemühen, auch wirklich etwas zu sagen. Was Letzteres betrifft, kann ich Ihnen heute versichern: Ich habe in meinen 35 Berufsjahren schon so oft geredet, ohne dabei wirklich etwas zu sagen, dass es praktisch nichts mehr gibt, was ich noch nie nicht gesagt habe. Was hingegen die Kürze meiner Ansprache angeht, kann ich Ihnen heute leider nichts versprechen. Ich hoffe, Sie sitzen bequem.

Der Grund dafür, dass ich heute allenfalls etwas länger werden könnte, liegt nicht nur darin, dass es nach zwei Jahren Unterbruch endlich wieder möglich ist, die Soirée Suisse mit Ihnen zu feiern, wodurch ich zwei nicht gehaltene Reden in der heutigen Rede unterbringen musste, die wegen ihrem Ausfall sehr ungehalten waren; der Grund liegt auch darin, dass ich Ende Jahr in Pension gehen werde, oder – wie man bei Diplomaten sagt – meinen zweitletzten Transfer habe. Die heutige Rede dürfte somit meine allerletzte Gelegenheit sein, bei der mir ein grösseres Publikum schonungslos ausgeliefert ist.   

Liebe Gäste,

Am 2. August letzten Jahres, also einen Tag nach dem Schweizer Nationalfeiertag, konnte man im Standard lesen, Biologen hätten in der Schweiz eine Moospflanze entdeckt, die bisher nur an einer einzigen Stelle und zwar in Tirol vorgekommen sei.

Es handelt sich um eine Moosart mit dem Namen Spalthütchen, die nur in sehr großer Höhe wächst und nur spärliche Bewässerung braucht, wie zum Beispiel von Gletscherwasser, weshalb die äusserst seltene Pflanze vom Klimawandel bedroht ist.

Die Spezies war vor etwa 25 Jahren vom österreichischen Botaniker Heribert Köckinger nahe des Gipfels der vorderen Kendlspitze in den Hohen Tauern entdeckt worden. Und nun wurde das äusserst seltene Moos also auch in der Schweiz, nämlich im Kanton Glarus, in der Nähe des Martinslochs, in der Tschingelhörner-Gipfelkette entdeckt, und mit schweizerischer Konsequenz «Martinsloch-Spalthütchen» getauft.

Falls Moose sammeln ein Hobby von Ihnen ist und Sie das Martinsloch-Spalthütchen einmal suchen gehen sollten: Es weist eine warme braune Färbung auf, hat eiförmige, konkave und mutierte Blätter, mit abgerundeten Spitzen, Spaltöffnungen sowie ellipsoide Kapseln, die an der Mündung eingeschnürt sind. Ich bin sicher, Sie sehen das jetzt ganz klar und deutlich vor ihrem geistigen Auge.

Pflücken Sie es aber bitte nicht, weil es auch in Ihrem Kopf sehr selten ist, und weil man bei Moosen und Pilzen allgemein sehr vorsichtig sein sollte, was man davon isst. Das ist mir erst am letzten Wochenende wieder einmal bewusst geworden, als meine Gattin hier im Botschaftsgarten seltsame Pilze fand. Sie meinte zuerst, ich sei es, der im Gras liege, und über den sie fast gestolpert wäre, aber es stellte sich als eine stattliche Ansammlung von über Nacht gewachsenen «Spitzkegeligen Kahlkopfpilzen» heraus.

Nicht, dass ich das sofort erkannt hätte. Ich musste mich bei «Swissfungi» erkundigen, dem mir bis dahin unbekannten Schweizer Daten- und Informationszentrum für Pilze, das mir für Pilze in einem Schweizer Residenzgarten die geeignete Anlaufstelle schien.

Spitzkegelige Kahlkopfpilze, so erfuhr ich, gehören zu den halluzinogenen Pilzen, die den Wirkstoff Psilocybin enthalten, den der Schweizer Chemiker Albert Hoffmann in meinem Geburtsjahr 1958 erstmals aus diesen Pilzen isoliert hat. Die Pilze haben sich in den 60er-Jahren als hippe Partydroge unter dem Namen «Magic Mushrooms» einer grossen Beliebtheit erfreut.     

Der Spitzkegelige Kahlkopfpilz enthält von allen Pilzen den mit Abstand grössten Anteil von halluzinogenen Wirkstoffen und er kommt in der Schweiz relativ häufig vor.  Wie oft der Spitzkegelige Kahlkopf tatsächlich in der Schweiz auftrete, sei schwierig zu sagen, da viele Funde nicht gemeldet würden, was mich angesichts der Eigenschaften des Pilzes nicht wirklich erstaunt, und vielleicht dazu beiträgt, dass die Schweizer Bevölkerung in der internationalen Zufriedenheitsskala regelmässig weit oben steht.  

Meiner Frau und mir ist jedenfalls durch den Fund klargeworden, warum unsere oberösterreichischen Pudel oft völlig ausgeflippt im Garten herumtollen und auf den Hinterbeinen stehend miteinander tanzen, als seien sie auf einem grandiosen Trip.

Also, liebe Gäste: Falls Sie heute Abend Pilze finden sollten im Botschaftsgarten – die Botschaft übernimmt keinerlei Verantwortung für das, was Sie nachher anstellen, falls sie die Pilze essen oder rauchen sollten. 

Entschuldigen Sie bitte, dass ich dauernd abschweife, aber Ich muss nochmal von den Pilzen zu den Moosen wechseln. Laut der Roten Liste des Schweizer Bundesamts für Umwelt, Wald und Landschaft gelten 416 der über 1000 bekannten Schweizer Moosarten als gefährdet. Das mit dem Martinsloch-Spalthütchen am nächsten verwandte Moos, dessen lateinischen Namen ich mir und Ihnen erspare, wurde beispielsweise seit 1966 nicht mehr gesichtet.

Bei mir verhält es sich so, dass man mich ab Dezember 2022 nicht mehr sichten wird, jedenfalls nicht mehr als Schweizerischer Botschafter. Ursprünglich bestand die Absicht, dass meine Frau und ich nach meiner Pensionierung zurück in die Schweiz ziehen würden. Als ich dann aber den Artikel über das Martinsloch-Spalthütchen las, das mehr als 25 Jahre brauchte, um von Tirol in den Kanton Glarus zu wandern, habe ich beschlossen, in Wien zu bleiben, um der Gefahr zu entgehen, dass

ich das zeitliche segne, bevor ich in Zürich ankomme.

Verehrte Gäste,

nach all diesen Abschweifungen zu Moosen und Pilzen wäre es höchste Zeit, dass ich endlich zur Sache käme. Da ich aber schon viel zulange rede und nicht mehr sicher bin, um welche Sache es heute geht, komme ich direkt zum Schluss.    

Als ich im Herbst 2017 nach Wien kam, stellte ich mich auf eine beschauliche Zeit in einem stabilen Nachbarland der Schweiz ein, mit dem wir traditionell ausgezeichnete Beziehungen haben. Die Beziehungen waren – und sind es noch – auch tatsächlich ausgezeichnet, die Erwartung der Stabilität erfüllte sich dann aber nicht auf allen Ebenen. Während ich in 35 Jahren als Schweizer Diplomat unter lediglich sechs Aussenministern gedient habe, erlebte ich nun in 5 Jahren Österreich 6 Bundeskanzler, zweimal den gleichen zwar, aber in der Abfolge doch 6. So habe ich Österreich als bewegtes Land erlebt und es ist mir auf jeden Fall nie langweilig geworden.

Wenn Sie mich fragen, was ich in meinen fünf Jahren für die Beziehungen zwischen der Schweiz und Österreich getan habe, dann möchte ich gerne für mich in Anspruch nehmen, dass in meiner Amtszeit ein seltenes Moos das letzte Stück seines Weges vom Bundesland Tirol in den Kanton Glarus zurückgelegt hat – eine ebenso lange wie völkerverbindende Wanderung.

Das alpenüberquerende Euter der österreichischen Künstlerin Barbara Anna Husar hat mir auch sehr gut gefallen, aber ich kann es mir nicht auf die Fahne schreiben, weil ich sonst wegen kultureller Aneignung eingeklagt werde.

Ich wünsche Ihnen, sehr geehrte Gäste, einen vergnüglichen Abend.  

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