Atilla die Nonne (oder die Hunnen kommen)

oder:

Attila die Hunne
oder die Nonnen kommen

oder:

Irgendwann wird vielleicht
irgendjemand kommen
wenn er nicht unterwegs
aufgehalten wird
von irgendetwas
oder irgendwem
und wenn er überhaupt losgeritten ist
der Depp

1. Kapitel: Vor langer, wirklich langer Zeit
(Wie Attila vermittelt wurde, obwohl er den Agenten gar nicht kannte, und wie er in Null Komma Nichts seine schrecklichen Horden mobilisierte)

Attila verdiente zu seinen besten Zeiten bei den Hunnen rund zwei Millionen Euro pro Monat (kaukraftbereinigt). Dank seinem Agenten, von dem heute keiner mehr spricht. Der soll damals bei den zähen Vertragsverhandlungen mit dem Rat der Ältesten gesagt haben: „Und von wem wird man später reden, wenn das Unternehmen in die Hose geht, hä? Von den stinkenden Reitern, die nichts anderes können, als fluchen, dreinschlagen, vergewaltigen und während dem Reiten ihre Notdurft verrichten? Von Lema dem Lästerer, Bulla dem Beulenbeisser, Fonda dem Furzer, Nila dem Nasenborer und wie sie alle heissen? Also.“
An dieser Stelle soll er einen Schluck Bier genommen haben oder etwas, was ähnlich aussah und kräftiger roch, damit seine Worte einsickern konnten in die von ihm als dumpf eingestufte Psyche seiner Zuhörer. „Von ihm wird man reden. Sein Ruf wird auf alle Zeiten versaut sein, wenn das Ding schiefläuft. Attila der Hunne wird als der Inbegriff des ruchlosen Plünderers gelten. Sein Name wird auf Generationen hinaus ruiniert sein und kein Schwein wird mehr danach fragen, ob er in seiner Freizeit Gedichte las und mit Steinen sprach. Sie wissen doch, dass mein Mandant mit Steinen spricht, oder?“
Der Rat der Weisen wusste es nicht. Wollte es auch nicht wissen. Man wollte ganz einfach den besten Profi an Land ziehen, der für das geplante Unternehmen auf dem Markt erhältlich war. Es spielte keine Rolle, ob man ihn zuerst aus einem bestehenden Vertrag freikaufen musste, ob man ihm ein Gehalt garantieren musste, das man gar nicht bezahlen konnte. Ob man ihm eine horrende Gewinnbeteiligung (er würde alles erhalten), eine vergoldete Invaliditätsrente, eine Rolex für seinen schwachsinnigen Bruder und eine Ausstiegsklausel im Falle eines besseren Angebots einer von ihm angegriffenen Macht zubilligen musste. Das alles und alles andere, woran der findige Agent gerade dachte und es auch sogleich in die grimmige Runde um das Lagerfeuer warf, während Attila draussen in der nächtlichen Steppe sass und mit einem Stein sprach (zum Lesen eines Gedichtes reichte das Mondlicht nicht aus), spielte absolut keine Rolle. Sie wollten den top guy, den Supermacho, den geborenen Leader. Sie wollten den, dem Firo der Fackler, Tula der Tinkerer, Rawu der Rülpser und wie sie alle hiessen bedingungslos folgen würden. Sie wollten den ultimativen Vorreiter. Den Alphagaloppierer. Den Megabrandschatzer. Den Gigaabräumer. Sie wollten Attila. Und sie würden ihn kriegen.
Sie hörten dem Agenten geschlagene zwei Stunden zu, ohne auch nur auf eines seiner Argumente einzugehen. Sie liessen ihn reden und reden und reden, bis er sich den Mund fusselig geredet hatte und nicht mehr reden mochte. Dann schlug ihn der Älteste der Alten mit einem leergetrunkenen Bierkrug bewusstlos und als er wieder zu sich kam, fragten sie ihn: „Was willst Du“?
„Zwei Millionen Euro pro Monat“, sagte der Agent und rieb sich den Schädel. Blut rann ihm über das Gesicht. „Jeweils Mitte des Vormonats auf ein Konto in Zürich einbezahlt.“ Sein Blut. Sein Blick war verschwommen. Aber er wusste: Er hatte gewonnen. Er hatte sie genau dort, wo er sie wollte, diese dumpfen Barbaren.
Der Rat der Alten hatte mit Monaten und Konti nichts am speckigen Fellhut, aber alle waren müde, der Morgen nahte bereits und man willigte ein.
Als es tagte, gab Attila seine drei Gedichtbücher seinem Halbbruder, Beda dem Beduselten, zur getreulichen Aufbewahrung, verabschiedete sich von den lokalen Steinen und sattelte sein Pferd. Er wusste nichts von der vereinbarten Summe. Er wusste nichts von den Prämien und der Rolex seines Bruders. Auch sein Bruder würde nie davon erfahren. Hätte auch die Zeit nicht ablesen können. Attila wusste nicht einmal etwas von den zähen und am Ende erfolgreichen Verhandlungen seines Agenten. Wenn er davon und von deren Resultat gewusst hätte, hätte er den Erfolg der Verhandlungen womöglich in Abrede gestellt. Aber er wusste nichts davon. Er wusste nicht einmal, dass er einen Agenten hatte. Er konzentrierte sich darauf, was er wusste. Er wusste, wie man ein Pferd sattelt. Er sattelte sein Pferd. Und dachte dabei an seinen Auftrag. Was würde er brauchen, um seinen Auftrag (zunächst Asien und dann Europa mit Furcht und Schrecken überziehen) erfolgreich auszuführen?
Zunächst einmal würde er Reiter brauchen. Ein ganzes Reiterheer. Er war seit kurzem Mitglied bei Mobility, einem globusumspannenden War-Share-System, mit welchem man Reiter an einen bestimmten Standort bestellen konnte. Seine Mutter hatte ihn eines Abends, während sie mit einer Maus spielte, zur Mitgliedschaft überredet. Was willst du mit einem stehenden Heer? Hatte sie ihn gefragt. Es steht herum, wird ranzig und spröde und wenn du endlich losreiten kannst, platzt ein Reifen. Er nahm ihr die Maus aus der Hand und klickte sich durch das Reservationssystem. Gewünschter Standort: „Vor meiner Jurte“. Gewünschte Anzahl Reiter? Das Pulldown-Menu offerierte die Optionen: „kleine Gruppe“ / „viele“ / „unheimlich viele“ /  „unglaublich viele“ und „wirklich eine Menge“. Er klickte auf „unglaublich viele“. Bei „Art der Reiter“ wählte er „schreckliche“. „furchteinflössende“ schien ihm zu relativ. Jeder fürchtete sich vor anderen Dingen. Was in Asien vielleicht noch Furcht einflösste, entlockte in Zentraleuropa nur noch ein müdes Lächeln (jetzt reiten die schon wieder hier durch) und lief in Westeuropa bereits unter Normalität (Haben sie eine Reservation?). Schrecklich war schrecklich. Egal, wann und wo.
Gewünschtes Datum (JJJ/Jahreszeit): 432/Spätfrühling.
Am Ende klickte er auf  „Reservation bestätigen“, schaltete den Schossgipfel seiner Mutter aus und legte sich schlafen. Er würde jetzt viel Schlaf brauchen. Einen klaren Kopf. Für seine Mission. Für seine Bestimmung.

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