Die Musik dort

 (zur Erinnerung an einen Aufbruch)

Als wir noch im Land lebten, wo sie die Musik schreiben, klang sie gewöhnlich und wir hörten gar nicht hin. Vielleicht, weil wir dort nie ganz zuhause waren, auch wenn wir nach Einnachten bei Bekannten sagten: Wir müssen jetzt nachhause, der Babysitter wartet. Der Hund muss dringend raus. Der Hase hat Hunger. Und dunkel ist es auch. Vielen Dank und ein ander Mal.
Das Radio spielte zum Beispiel Surfing in USA und wir waren schon dort. Keine Strandpromenaden im Kopf, keine Sehnsucht nach Shorts. Meine Frau war gedanklich gerade beim Reiten und ich machte eine Liste von Dingen, die ich vor der Rückreise in die Schweiz unbedingt noch tun wollte, dann aber verlegte und erst beim Auspacken am Zoll in Kloten wieder fand. Ja, ich habe diese Liste selber geschrieben und alles, was aufgelistet ist, ist wertlos.

Wieder im Binnenland gewannen die Strände an Bedeutung. Die Welt wurde groß, weil sie plötzlich wieder klein war. Ich dachte an haushohe Brandungen endlose Strände, leere Liegestühle. Ein Stück weißes Treibholz an der Küste Oregons. Wellen brachen über mir, während  ich anständig an der Kasse anstand und vor mir sprach einer überraschenderweise im selben Dialekt.
Als ich endlich bezahlen konnte, waren die Banknoten feucht und das Kleingeld fiel mir in die Ritzen des Förderbands. Ich entschuldigte mich bei der Person hinter mir, aber der Mann lächelte mich freundlich an, wartete gerne, war nicht von hier.

Seit wir wieder zurück waren, stand am anderen Ort die Zeit still. Die Nachrichtensendungen taten so, als fände dort alles auch ohne uns noch statt. Sogar unsere zurückgelassenen Freunde behaupteten, das Leben gehe weiter. Der Trennungsschmerz machte sie stur.
Aber wir wussten es besser. Gleich nach unserem Abflug von Washington hatte man den Flughafen geschlossen. Meiner ältesten Tochter war beim Check-In die Häufung von Männern in blauen Overalls aufgefallen, die in kleinen Grüppchen herumstanden und so taten, als würden sie rauchen, obwohl jeder wusste, dass dies ein rauchfreies Gebäude war.
Sobald wir an Bord der Maschine waren, wo sie sofort einen Film zeigten, damit niemand aus dem Fenster schaute, hatten sie mit der Endreinigung begonnen. Kurz danach war  alles versiegelt, der Tower antwortete nicht mehr und die Räumungsmannschaft war bereits in unauffälligen Lieferwagen auf dem Highway auf dem Weg zur Stadt, als wir vor Neuschottland über den Atlantik abdrehten.
Glauben Sie mir, dort ist unterdessen gar nichts mehr los. Jedenfalls nichts mehr, was mit Wirklichkeit zu tun hat. Höchstens noch ein kollektiver amerikanischer Traum, aus dem die Leute partout nicht erwachen wollen, wie man sie auch schüttelt. 

Eigentlich wusste ich nie, was wir an den USA so vermissten. Wenn wir dort unter uns waren, waren Leute dabei, zu denen wir nur ungern gehörten. In der Schweiz wurde es nicht viel besser. Wir führten den Hund spazieren und kamen an Gartentischen vorbei, an denen das ganze Quartier sich versammelt hatte. Fröhliches Lachen. Grillwürste. Nur die Kinder wuchsen noch. Der Rasen vor den Balkonen tat nur noch so, wusste aber genau, dass er nicht weit kommen würde. Manchmal rief jemand aus der Ferne an und sagte „Wir vermissen euch.“ Danke, wir uns auch. Und wie ist das Wetter?

Man kann nicht zurück. Und wir wollten auch nicht.  Jedenfalls nicht mit Möbeln, nicht mehr zu zweit und nicht mehr als Familie. Einzeln zu Besuch auch nur ganz kurz, um nachzusehen, ob noch alles fehlte. In der Regel genügte es uns, ab und zu alleine auf die Kiste zu sitzen, in der die Fotos lagen. Die Rockies im Sommer. Die Niagara Falls an ihrem gischtfreien Tag.
Jetzt lebe ich in einer wieder anderen Stadt, wo mir nach zweieinhalb Jahren vieles vertraut geworden ist. Ich bin in der zweiten Halbzeit. Der Schiedsrichter hat bereits die Pfeife im Mund. Pfeift er frühzeitig ab oder gibt es Freistoss, den ich bestimmt in den Nachthimmel jagen werde?
Ich kenne diesen Moment, wo man Mühe hat, sich vorzustellen, dass man eines Tages zum letzten Mal durch diese Strasse fährt, die von zuhause zur Arbeit führt, von der Arbeit nachhause.
Es geht alles sehr schnell. Man wacht auf, schläft ein, wacht auf. Dazwischen will wenig gelingen. Wahrscheinlich weil man nicht sorgfältig träumt. Man reißt alles nur an und lässt sich von Leuten ablenken, die sogar wach nicht sehr unterhaltend sind. Es sind immer dieselben. Man wird sich einfach nicht los.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s


%d Bloggern gefällt das: