Zwei Nachrichten haben gegen das Jahresende hin Aufmerksamkeit erregt. Meine wenigstens. Ich kann hier nicht für die Allgemeinheit sprechen. Sie packt gerade die Weihnachtsgeschenke ein. Ein Qualitätsmerkmal wäre das Erregen allgemeiner Aufmerksamkeit ohnehin nicht . Auch ein kahlrasierter Bär, der in Alaska laut furzend durch ein überheiztes Shoppingcenter rennt, erregt für einen kurzen Moment lokale Aufmerksamkeit und schafft es vielleicht sogar in die internationalen Headlines, bevor er notgeschlachtet wird.
Die erste Nachricht lautete, ein chinesisches Raumschiff sei am Samstag, 4. November, auf dem Mond gelandet. In der Bucht der Regenbogen. Eine der schönsten Mondlandschaften, wenn man deutschen Touristen Glauben schenken will. China sei somit, nach den USA und der ehemaligen Sowjetunion, die dritte Nation, die dem Mond einen Besuch abgestattet habe. Schon acht Minuten später seien erste Bilder vom Mond gesendet worden. Fotostream, Cloud, Facebook. Twitter und so weiter. Landesweites Korkenknallen.
41 Jahre nach der letzten Landung eines bemannten Raumschiffs (Apollo 17) und 37 Jahre nach der letzten Landung auf dem Mond überhaupt (eine sowjetischen Raumsonde), sollen nun also auch die Chinesen den Mond erreicht haben. Unterstützt von der ESA, wie in europäischen Medien betont wird. Internationale Zusammenarbeit anstatt Wettlauf. Anders geht das heute nicht mehr, sagen uns die Experten. Auch auf dem Mond gilt nun: Dabeisein ist wichtiger als siegen. Sagen sie.
China verfolge, so liest man, wenn man trotz aller Harmonie noch etwas weiterliest, seit vielen Jahren ein ehrgeiziges Raumfahrtprogramm. Kooperativ ehrgeizig, nehme ich an. Für 2020 sei der Bau einer Raumstation geplant, die nach dem Auslaufen der Internationalen Raumstation ISS möglicherweise der einzige bemannte Aussenposten im All sein werde. Mit einem Satellitennetz baue China zudem ein eigenes globales Navigationssystem auf. Houston, we have a ploblem.
Die zweite Meldung betraf Bolivien. Und wieder China. Tut mir leid. Da führt momentan kaum ein Weg dran vorbei. Jeder ist heutzutage für eine Viertelstunde Chinese.
Bolivien habe am 21. Dezember mit Hilfe einer chinesischen Trägerrakete des Typs „Langer Marsch“ seinen ersten Kommunikationssatelliten in den Weltraum gesandt. konnte man in einer knapp gehaltenen Agenturmeldung lesen. Das Ding soll 5,3 Tonnen schwer sein und den Namen eines indianischen Aufständischen gegen die spanische Kolonialherrschaft im 18. Jahrhundert tragen. Tupac Katari. Dabei dachte ich, die würden 2020 die Fussball-WM veranstalten. Falls beim Stadionbau nicht alle verdursten.
Der Start der Trägerrakete sei in der bolivianischen, tschuldigung: chinesischen Provinz Sichuan erfolgt und dort vom bolivianischen Präsidenten Evo Morales als Beweis für die Unabhängigkeit seines Landes gefeiert worden sein. China habe den Grossteil der Kosten des Projektes (läppische 300 MillionenUS$) finanziert. Vor Bolivien hätten, war weiter zu lesen, in Lateinamerika schon Argentinien, Brasilien, Ecuador und Venezuela Satelliten lanciert. Als Beweis für ihre Unabhängigkeit, nehme ich an. Von den USA. Neben China. Gegen die FIFA. Was weiss ich.
Ich war mal ganz kurz in Bolivien, als ich noch Haare hatte. Hat mir gefallen dort. Dass es den Menschen damals besonders gut gegangen wäre, habe ich nicht in Erinnerung. Dort, wo ich nach zwei eher abenteuerlichen Flügen mit souverän gewarteten Flugzeugen (Hältst Du mir mal den Schraubenzieher, bitte?) gelandet bin, im tropischen Department Beni, ging es ihnen aber auch nicht extrem schlecht, damals. Wenigstens in meiner Erinnerung nicht. Wer reife Früchte wollte, griff in den Baum, wer Fisch mochte, schoss in den Fluss. Ist wahrscheinlich alles anders heute. Wer will heute noch Kugeln verdauen.
Ob ein eigener Kommunikationssatellit jetzt gerade das Allerdringendste war, was sich die bolivianische Bevölkerung zu Weihnachten wünschte, kann ich nicht beurteilen. Steht mir auch nicht zu. Das wird einem ja dann sofort als postkolonialistische Bevormundung ausgelegt, obwohl ich nie Kolonien hatte.
Natürlich sollen die die allerneuste Technologie haben. Kann niemand etwas dagegen haben. Hat ja auch up front nichts gekostet. Und klar verstehe ich, dass die nicht noch die nächsten zehn Generationen im Hinterhof der Amis dahindämmern wollen ohne eigenen Kommunikationssatelliten. Das geht überhaupt nicht. Wer nicht abgehört wird, ist heutzutage überhaupt nichts mehr wert. Nur frag ich mich halt, ob das mit der Unabhängigkeit auf diese Weise wirklich klappen wird. So mit den Chinesen und so.
Nicht dass es eine Schande wäre, sich von ihnen finanzieren zu lassen. Die finanzieren ja mittlerweile halb Afrika und seit Längerem die amerikanische Währung und somit irgendwie auch die NASA, General Motors und die koschere McDonalds-Filiale in der Abasto Shopping Mall in Buenos Aires. Und natürlich auch indirekt die NSA. Aber lassen wir das. Das wird hier sonst echt zu kompliziert.
Fragen wir uns lieber, ob das alles auch wirklich stimmt so. Das mit dem bolivarischen Nachrichtensatelliten und der chinesischen Mondlandung. Stimmt überhaupt irgendetwas, was ich im zu Ende gehenden Jahr nicht selber nachprüfen konnte, weil ich zu beschäftigt war?
Ich wollte den Bären, der am Anfang des Textes durch das Shoppingcenter rannte (er furzte übrigens nicht – das war billige Effekthascherei, für die ich mich entschuldige), mit dem Satelliten vergleichen, um zu entscheiden, was schwerer wiegt.
Zwanzig Sekunden seriöse Recherche im Internet (ein Blick auf das Google-Resultat für „Gewicht eines Grizzlybären“) haben ergeben, dass ein Grizzlybär bis 220, bis 450 oder bis 780 Kilo schwer werden kann. Der Unterschied ist nicht, ob er bereits sauber rasiert, erst eingeschäumt oder noch ganz unrasiert ist. Der Unterschied besteht einzig in der Konsultation von drei verschiedene Websites. Damit kann ich nun wirklich wenig anfangen. Und das gibt mir zu denken, denn mehr als zwanzig Sekunden haben wir ja selten zur Verfügung, um wenigstens im Internet den virtuellen Realitycheck zu machen.
Ist irgendetwas, was wir nicht selber miterlebt haben, überhaupt einigermassen nachprüfbar, bevor wir es weitererzählen? Und da wir offenbar längst alles glauben, ohne es zu sehen, warum werden wir nicht wenigstens selig dabei?
Irgendjemand sollte dringend eine taugliche Bärenwaage erfinden. Nicht nur wegen der offenbar netzauf-netzab herrschenden Unklarheit, was das Gewicht von Grizzlybären angeht. Es wäre auch für die Diätpläne der Bären eine tolle Sache, sich an allgemein gültige Richtwerte halten zu können. Sonst fressen die auch nächstes Jahr ungezügelt weiter, als hätte sie noch nie etwas von zu hohem Blutdruck und beginnendem Blutzucker gehört. Reiss Dich zusammen, Yogi! Es kann so nicht weitergehen.
Auch für uns Zeitungsleser wäre es nützlich, wenn es verlässliche Bärenwaagen gäbe. Nur schon um abschätzen zu können, wie schwer das Exemplar ungefähr ist, das man uns gerade aufbinden will.
Chinesen auf dem Mond. Wirklich gut. Boliviens eigener Kommunikationssatellit. Auch nicht schlecht. Mit Hilfe trägerloser chinesischer Raketen, die randloses Bräunen endlich auch auf dem Mond ermöglichen. Und alles fremdfinanziert, im Namen der Unabhängigkeit durch internationale Zusammenarbeit. Und von der FIFA selbstlos vermarktet. Gefällt mir ausgezeichnet. Ich kaufe das so. Ich will das unter meinem Christbaum.
Euch, liebe Leserinnen und Leser, entlasse ich hier. Der Text war ein wenig zu lange, ich weiss. Ich hätte allerdings noch weiter schreiben können. Bloss muss ich jetzt noch in den Schlussverkauf und danach noch rasch zum Mond. Nächstes Jahr will ich in die Unabhängigkeit und nach Bolivien, wo ich mich mit Chinesen treffen werde, die aussehen wie Sepp Blatter.
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