Der amerikanische Aussenminister Kerry habe im vergangenen Mai Rohdaten (raw data) gesehen, die darauf hindeuten würden, dass die syrische Armee bei einem Angriff auf Rebellen Chloringas verwendet habe.
Abgesehen davon, dass es ein scheussliches Kriegsverbrechen wäre, sollten diese Anzeichen inzwischen zur Gewissheit geworden sein, beschäftigt mich die Frage: Was genau sind Rohdaten?
Raw data. Ich nehme an, dass es in Sicherheitskreisen jede Menge von Spezialisten gibt, die keinerlei Mühe haben, den Begriff im Schlaf zu definieren. Rohdaten? Wie viele hätten Sie denn gerne? Soll ich sie einpacken oder kochen Sie sie gleich?
Wer in ein Wörterbuch schaut, findet verschiedene Übersetzungen, und was zunächst so roh und ungehobelt daherkam, wird ganz schön kompliziert.
„Ausgangsdaten“. OK. Offenbar etwas, wovon man ausgehen kann. Dass man mit ihnen in den Ausgang ginge, wird kaum gemeint sein. Ein Date mit Daten? Wer ausserhalb von Geheimdienstkreisen hätte Bock auf sowas?
Als Nächstes offeriert das Wörterbuch „Originaldaten“ und ich lege mir das so zurecht, dass es Daten gibt, die Originale sind, weil sie am Anfang stehen. Primärdaten, wo noch keiner dran herumgefummelt hat. Am Anfang schuf Gott die Rohdaten.
„Urdaten“? Da muss ich bereits raten. Wahrscheinlich sind damit Dinosaurier-DNA gemeint. Landeanweisungen für riesige Flugechsen mit erbsengrossem Hirn. Ungeduldige Fische, die versuchen, an Land zu kriechen, bevor ihnen Füsse gewachsen sind. Auf jeden Fall alles versteinert. Hard facts.
„Ursprungsdaten“ klingt hingegen irgendwie niedlich, fast ein wenig entschuldigend. Also ursprünglich hatten wir Daten. Dann hat jemand das Fenster offen gelassen über Nacht und jetzt sehen sie ja selber. Was für eine Bescherung! Wie soll man so arbeiten?
Faseln wir zusammen: Rohdaten sind Daten, die quasi ursprünglich sind. Es handelt sich ganz offensichtlich um etwas noch Unverändertes, wovon man ausgehen kann, weil es die Originale sind, keine Abbildungen. Rohdaten sind schlüssige Beweise für sich selber. Man sollte sie deshalb an einem sicheren Ort, am besten lichtgeschützt und bei konstanter Temperatur aufbewahren. Keine Feuchtigkeit bitte, sonst wachsen Pilze.
Wenn man sorgsam mit ihnen umgeht, mit den Rohdaten, entsteht im besten Fall eine Rohdatenmatrix. Das ist dann wirklich ein schöner Erfolg des ganzen Teams und man lässt die Korken knallen und reicht Lachs-Canapés herum.
Manchmal muss man sich aber auch mit Rohdatenmatrizen begnügen. Aber schon die sind so wertvoll, dass man sie am besten nicht ansieht, um sie nicht zu verändern.
Der grösste Feind der Rohdaten ist nämlich ihre Interpretation. Sie lauert hinter jeder Ecke, und sobald man die Rohdaten einen Moment unbewacht herumliegen lässt, fällt sie über sie her und deutet sie, bis nichts mehr von ihrer Originalität übrigbleibt. Wie eine Furie, sage ich Ihnen. Man muss wirklich aufpassen, weil sich die Daten danach nicht mehr in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzen lassen. .
Man sollte seine Rohdaten zwar besser nicht betrachten, wegen der akuten Deutungsgefahr, aber man darf sie aus dem gleichen Grund auch nie aus den Augen lassen, weil sonst die Furie kommt.
Am besten verbringt man die Nacht bei geschlossenen Fenstern im Büro, schläft neben dem Tresor auf einer Rohdatenmatratze und träumt vom Ursprung, als es noch kein Chloringas gab, keine Kriege, keine Geheimdienste, keine Menschen die einander Scheussliches taten. Keine Menschen.
Nur Fische ohne Füsse, die immer wieder versuchten, an Land zu klettern, um beim ersten Schatten einer Flugechse, der über sie hinweg huschte, zurück ins Meer zu plumpsen.
(25.07.2014)
14. August 2014 um 16:18
Danke! Politiker und Neologismen – Politpoesie. Warum nicht künftig in Analogie zur Rohsalz und Kochsalz von Kochdaten die Rede ist? LG, Nick
27. Juli 2014 um 21:03
Wie treffend lieber käptn – hoffe dir und insbesondere deinem schatz geht es gut – ist sie noch in ankara?
Dir wird es sicher nicht langweilig was rund um und in der türkei los ist – denke oft an euch – lieber gruss von der ganzen family hansjörg
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