Es war typisch für mich: Als ich „Floored Floater“ las, dachte ich sofort an ein bedauernswertes Tier, einem Seeotter nicht unähnlich, das sich in seinen muschelfreien Stunden auf den Wellen einer sanften See treiben lässt, und nun wegen gravierender Umweltverschmutzung, für die ich mich schuldig fühlte, auf Grund gelaufen war. Ich wollte unverzüglich aufbrechen, um es zu retten. Wenn nötig, würde ich ihm in meiner Badewanne Asyl gewähren. Lass schon mal Wasser ein, Liebling, lauwarm, mit etwas Badesalz, nein: ohne Parfüm, ich bin gleich wieder da.
Als ich dann den Zusatz „mit Referenzanleihe“ las, war mir klar, dass ich mich in die Finanzwelt verirrt hatte und mein reflexartiger Fluchtversuch ins Reich der Fabeltiere gescheitert war. Mein Interesse am Angelesenen sank wie ein Stein auf den Boden der Zeitung, wo der ebenso bedauernswerte wie inexistente Floater, vom Ozean meiner enttäuschten Erwartungen flachgedrückt, mit riesigen Augen, die ich ihm traurig schloss, auf seine Verwesung wartete.
Verwesen Organismen auf dem Grund der Tiefsee überhaupt, oder sedieren sie lediglich, Schicht über Schicht über Schicht? Wenn ich das jetzt auch noch google, verzettle ich mich wieder und die Suchmaschine fügt meinem Profil einen Hang zum Morbiden hinzu, der es mir bei künftigen Suchen schwer machen wird, fröhlich zu werden.
Falls Sie sich wegen dem Titel des Eintrags auf meinen Blog verirrt haben, tut es mir nicht wirklich leid. Auf der Suche nach der verlorenen Bonität einer ihnen flüchtig bekannten Emittentin hat Sie mein Titel hierher geführt, wobei Titel für Sie normalerweise eine ganz andere Bedeutung hat. Hier können Sie mit dem, was sie antreffen, nichts anfangen. Aber smart, wie Sie als Anleger sind, haben Sie den Irrtum sofort bemerkt.
Das ist hier nicht die Finanzwelt, rufe ich Ihnen nach. Hier können Sie keine vierteljährlichen Minimum Coupons beziehen und Kapitalschutz bei Verfall der Zahlungsfähigkeit des Referenzschuldners können Sie vergessen. Hier gibt es weder Schmalbesteuerung noch Schwarzgeldbleiche. Hier winseln die Zinse und das einzige, was optimiert wird, ist Ihre Verunsicherung. Aber Sie hören mich nicht. Sie sind längst wieder weg. Ihr Irrtum hat höchstens Sekunden gedauert.
Und Sie hatten natürlich völlig Recht mit ihrer raschen Einschätzung der Lage. Hier gibt es nichts mitzunehmen. Obwohl das ja in letzter Zeit stark in Mode gekommen ist, das Mitnehmen. Zum Beispiel im Sport. Den einen Punkt, lässt sich der Headcoach nach dem Auswärtsspiel verlauten, nehmen wir gerne mit. Sogar nach einer Niederlage. Wir haben zwar verloren, aber wir nehmen die Erkenntnis mit, dass wir, wenn alles zusammenpasst, auch gegen Grossclubs bestehen können.
Aber nicht nur im Sport wird gerne mitgenommen. Auch ein Entwicklungshelfer erzählt mir früh morgens im Radio, während ich mir Schaum um mein doppeltes Kinn schlage, er habe von seinem letzten Afrika-Aufenthalt die Erkenntnis mitgenommen, dass der Mensch viel mehr Widerstandskraft habe, als wir gemeinhin vermuten. Beim Wechsel des Anbieters lässt sich heute die Rufnummer mitnehmen. Es gibt Leute, die nehmen Kleiderbügel und Bademäntel aus Hotelzimmern mit. Andere antike Steine von Ausgrabungsstätten. Es war ihnen nicht bewusst, dass sie aus Stein sind.
Wir sind alle stark im Mitnehmen. Ich nehme mit, Du nimmst mit, sie nimmt mit. Und das nicht erst seit heute. Du nahmst mit, er nahm mit, ihr nahmt mit, ich habe mitgenommen, wir hatten mitgenommen. Deshalb liegt bei uns zuhause so viel Krempel herum, bezahlt oder gefunden. Und aller Wahrscheinlichkeit nach wird das so weitergehen. Ich werde mitnehmen, Du wirst mitnehmen, wir werden mitnehmen, sie werden mitnehmen, ihr werdet mitnehmen. Auswärtspunkte, Erkenntnisse, Gefühle, Kleiderbügel, Kapitele, Bademäntel, Bücher, schwarze Socken. Bis irgendwann kein Platz mehr ist. Bis wir die Müllabfuhr oder Enzensbergers gute alte Furie des Verschwindens kommen lassen müssen, der am Ende ohnehin alles zufällt, zuerst langsam, dann rasend schnell.
Wenn ich Ihnen etwas auf den Weg geben darf, bevor Sie diesen Blog wieder verlassen: Nehmen Sie es nicht mit. Nehmen Sie überhaupt nichts mit, was Sie auch hier lassen können. Denken Sie an die forschen Fragen der Zöllner. Widerstehen Sie dem Sammlerreflex. Denken Sie an all das, was zuhause bereits ausser Gebrauch ist. Lenken Sie sich ab. Denken Sie an Blumen, die nur einmal im Jahr um Mitternacht blühen. Denken Sie an einen Film oder einen Freund, den Sie gerne wieder einmal sehen würden. Oder denken Sie, wenn Sie das hinkriegen, am besten an gar nichts.
Lassen Sie sich auf dem Heimweg vom Schlaf überwältigen, dem wohltuenden Wegelagerer. Legen Sie den Kopf in den Nacken, notfalls in Ihren, und schlafen Sie, bis das Geräusch der auf der Rollbahn aufsetzenden Räder Sie weckt. Und bitte vergewissern Sie sich, bevor Sie das Flugzeug verlassen, dass kein Floater auf dem Boden liegt.
Kommentar verfassen