Worüber man will

„Nachdenken, worüber man will“, lautete diese Woche der Titel eines Artikels im Wirtschaftsteil, den ich sonst überblättere aus Mangel an beidem, Interesse und Verständnis. Einer meiner Mängel, mit denen ich bis heute ohne Mangelerscheinungen lebe, obwohl ich weiss, dass es die Wirtschaft ist, Honey, von der wir leben, während die Politik lediglich die Rahmenbedingungen schaffen muss, damit die Wirtschaft funktioniert und die Kultur und die Diplomatie finanzierbar sind. So in der Art. Ohne Weise.

Wenn man vor einem Fluss steht, muss man sich entscheiden, wo man rüber will. Falls keine Brücke vorhanden ist und man gerade keine bauen kann, sucht man sich am besten eine Furt. Eine Untiefe, wo der Fluss überquerbar ist, ohne von ihm mitgerissen zu werden (wer will schon ins Meer).

Oder man geht am Ufer entlang, bis man endlich eine Brücke findet. Vielleicht eine, die einfach so über den Fluss hängt und erst spannend wird, wenn man sie überquert. Oder eine, die einst im Bogen kühn geschlagen wurde. Es gibt vielerlei Brücken und eine schöne kann auch entzücken.

Der Vorteil, wenn man bis zur nächsten Brücke eine Weile wandern muss, kann darin bestehen, dass man mehr Zeit hat, um nachzudenken, warum man rüber will. Und ob überhaupt. Was, ausser einer Vermutung und wieder ein Weg, liegt am anderen Ufer? Und wie wird man wissen können, wenn man drüben ist, ob es wirklich das andere Ufer ist, wo man angekommen ist, und nicht schon wieder das eine, von dem man aufbrechen wollte? Eine Böschung gleicht der anderen.

Vielleicht ist man ja schon, ohne es gemerkt zu haben, längst am anderen Ufer gewandert, und das, was jenseits der Brücke wie das andere ausgesehen hatte, war schon immer das eine, und wird es auch bleiben, egal, wie oft man die Brücke noch überquert.
Als hilfreich könnte sich jemand am anderen Ende der Brücke erweisen, der sich mit Wasserstand und Uferfauna auskennt. Es müsste eine vertrauenswürdige Person sein, der wir unseren Bieber in die Ferien geben würden ohne zu zögern. Nach sieben Uhr höchstens noch drei kleine Scheite, sonst schläft er nachher schlecht.

„Ist auf Ihrer Seite das eine Ufer…?“, rufen wir der Frau mit Hund zu, die einen gelben Regenmantel trägt, der von der Sonne ausgebleicht ist, „…oder das andere?“
Sie hat uns bemerkt, denn sie steht nun bockstill, während sie vorher keinen Wank tat, auch der Hund bewegt sich nicht mehr als vorher (gar nicht). Sie schaut in unsere Richtung. Jedenfalls möchten wir glauben, dass sie das tut, aber unser Winken verrät uns: Hier sind wir, wir wissen nur nicht wo.

Sie antwortet nicht. Vielleicht will sie uns nicht enttäuschen. Vielleicht sieht sie uns nicht (der Fluss ist hier breit). Vielleicht ist sie blind oder ein Mann und der Hund ausgestopft. Auch war die Frage falsch gestellt. Sie kann nur ja oder nein sagen, das stand als Vorgabe am Anfang des Rätsels. Auf Fragen mit „oder“ weiss sie keine Antwort, auch keine mit „und“. Sie wendet sich ab und bückt sich ins Unterholz, als würde sie Pilze suchen. Bald darauf verschwindet sie aus unserem Blickfeld. Nur der Hund bellt noch eine Weile weiter, trotz allem vergnügt.

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