Sieben mögliche Varianten für eine Umfahrung von Burlington, Kanton Zürich

Ein Gutachten der Eidgenössischen Kommission für Kultur- und Heimatschutz hat vor einem Jahr empfohlen, die Projektierung der geplanten Umfahrung von Eglisau zu stoppen. Laut den Gutachtern störte die geplante Umfahrung das Zusammenspiel der kulturhistorisch bedeutsamen Rheinübergänge mit der bestehenden Strassenbrücke und dem Eisenbahnviadukt. Quote unquote.

Von Günter Ohnemus, den ein in Berlin lebender Freund in den Neunzigerjahren oberflächlich kannte, als offenbar viele Leute Günter flüchtig kannten, ihn aber dann wie die meisten jener Leute gründlich vergessen hat, weil es sich angeblich nicht richtig lohnte, ihn im Gedächtnis zu behalten, gibt es ein Buch mit dem Titel „Siebenundsechzig Ansichten einer Frau“. Ich besitze das Buch, habe es aber nur angelesen. Rund sechzig Ansichten fehlen mir, weshalb es mir noch nicht ganz gehört. Ich behalte es trotzdem. Auch wegen dem Titel.

Ohnemus ist gut mit Titeln. Eigentlich erstaunlich, dass ihm in einer Zeit, in der Verpackung wichtiger ist als Inhalt und ohnehin kaum einer ein Buch zu Ende liest, nicht mehr Erfolg beschieden war. „Alles, was Du versäumt hast“. „Ein Parkplatz für Johnny Weissmüller“. „Die letzten grossen Ferien.“ Das klingt doch bei einem Gespräch über Literatur nicht schlecht.

Aber diese schönen Titel haben offenbar – ausser ein paar Jünger der Subkultur, die alles kauften, was der Maro-Verlag publizierte, und mit etwas Verspätung mich – fast niemanden zum Kauf bewogen. Nur ich war bei Ohnemus ohne Mass und habe mir gleich sechs Bücher bestellt, nachdem ich vor ein paar Jahren zufällig auf „Zähneputzen in Helsinki“ gestossen war. Das dünne Buch hatte sich streckenweise so gelesen wie ein deutscher Richard Brautigan, ein anderer Meister der Titel. „Dreaming of Babylon“. „So the Wind Won’t Blow It All Away“. “ Sombrero Fallout“.

Von Brautigan las ich einst alles, was ich kriegen konnte, noch bevor es von Ohnemus ins Deutsche übersetzt wurde. Ohnemus‘ Bücher stehen bis heute mit ihren schönen Titeln in meinem Bücherregal wie geliefert und nicht gelesen. Es ist fast so, als hätte er seine Texte in der Fletcher Library in Burlington, Vermont, hinterlegt, wo im Gedenken an den zu früh verstorbenen Richard Brautigan eine Bibliothek für unveröffentlichte Manuskripte eingerichtet wurde. Kann man auch zu spät sterben?

Die Bibliothek soll vor 10 Jahren 325 unveröffentlichte Werke beherbergt haben. Vielleicht werde ich, wenn ich einmal in Vermont bin, hingehen und selber nachschauen, ob es die Bibliothek noch gibt und wie viele Manuskripte es bis heute geworden sind. Vorher muss aber in Eglisau noch eine Lösung gefunden werden für das Zusammenspiel der kulturhistorisch bedeutsamen Rheinübergänge. Ich würde sonst mit einem schlechten Gewissen nach Vermont aufbrechen.

Die Lösung zeichnet sich zum Glück ab. Der Zürcher Baudirektor hat soeben sieben Varianten für eine Umfahrung der schönen Stadt am Rhein vorgelegt. Fünf Linienführungen sehen eine Brücke über den Rhein vor, zwei eine Unterquerung per Tunnel. Die Brücken sollen zwischen 190 und 510 Millionen kosten, die Tunnels werden auf 780 Millionen geschätzt.

Beim ziellosen Blättern bin ich heute auf dem Parkplatz für Johnny Weissmüller auf einen wunderbaren Satz gestossen: „In Amerika will man immer alles so machen, dass jeder beim Anschauen es schon sehen kann.“

Genau das wünsche ich den Bürgern von Eglisau bei ihrem schwierigen Entscheid auch. Dass ihnen die Umfahrung so gelingen möge, dass man das Zusammenspiel der kulturhistorisch bedeutsamen Rheinübergänge schon beim Anschauen sehen kann. Und zwar schon von Weitem. Zum Beispiel aus Syrien.

(Dieser Text ist Günter Ohnemus gewidmet, der in einem Jahr seinen 70. Geburtstag feiern wird, und Richard Brautigan, der nicht einmal 50 wurde. Es lohnt sich, sie nicht ganz zu vergessen.)

Eine Antwort to “Sieben mögliche Varianten für eine Umfahrung von Burlington, Kanton Zürich”

  1. Andreas Härter Says:

    Von Günter Ohnemus habe ich nichts gelesen bislang, da kann ich nix sagen. Aber dann: Wo, wenn nicht in Walters wunderbarer Welt, wird unsereiner noch an Richard Brautigan erinnert, den grossen Verfasser kleiner Sätze, den Erfinder einfacher Geschichten, die überhaupt nicht einfach, dafür wunderbar quer und unbeschreiblich schräg sind? Muss wieder mal das „Hawkline Monster“ lesen. Das erinnert mich dann an Walter, der mich an Brautigan erinnert. Danke, my friend (Du bist ja erstaunlich und erfreulich produktiv dieser Tage – danke auch dafür).

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