Das Regime in Tunesien ist nach dreiundzwanzig Jahren dem Druck der Strasse gewichen. Das tunesische Volk braucht uns jetzt. Wir applaudieren spontan, kündigen unsere Unterstützung an und überprüfen die Schweizer Bankkonten der Herrscherfamilie. Das wird bei 23 Jahren leider etwas dauern, worum wir um Verständnis bitten. Aber moralisch sind wir voll da, klettern mit euch auf die Panzer, stecken Nelken in die Geschützrohre und umarmen Soldaten.
Das Regime in Ägypten wird nach dreissig Jahren gerade gestürzt oder zumindest tüchtig durchgerüttelt. Das ägyptische Volk braucht uns jetzt. Wir applaudieren spontan, kündigen unsere Unterstützung an und überprüfen die Schweizer Bankkonten der Herrscherfamilie. Das kann bei 30 Jahren noch etwas länger dauern als im Fall Tunesien, sorry. Aber moralisch sind wir voll da. Wir schütten auch ein wenig Häme aus über die Amerikaner, die wieder einmal ein die Menschenrechte verachtendes Regime mit massiven Beiträgen gestützt haben, bis es nicht mehr anders ging. Wie kann man jahrzehntelang so blind sein? Wir hingegen haben den Kontakt mit diesem Regime auf das strikte Minimum beschränkt und bei diesen Kontakten praktisch nur über Demokratie und Menschenrechte gesprochen. Manchmal hatten wir schon fast den Krampf im Mahnfinger, also wirklich.
In Jemen, Jordanien und Saudi Arabien brodelt es. Wir schauen gebannt hin und fragen uns, wann es losgeht, machen uns aber schon einmal bereit, spontan zu applaudieren, Unterstützung anzukündigen und die Konten zu prüfen. Aber bitte, keine Ursache, das ist doch das Mindeste, was wir tun können. Diese Völker werden uns brauchen.
Natürlich haben wir alle gewusst, dass sich die arabischen Völker die Unterdrückung durch Despoten und dürftig legitimierte Herrscher nicht ewig gefallen lassen werden. Natürlich sind wir jetzt alle erleichtert, dass die grosse Befreiungswelle endlich begonnen hat. Ein basisdemokratischer Tsunami, der selektiv nur die Unterdrücker wegspült. Ein aus der Ferne wunderbar anzuschauender Dominoeffekt, der uns nur deshalb auch ein ganz klein wenig verunsichert, weil noch nicht überall klar ist, wer am Ende gewinnen wird.
Gott behüte, wenn es zum Beispiel diese Bärtigen sind, die in jenem anderen Land damals die Revolution gekapert haben und nun heimlich Dinge basteln, für die sie nun wirklich nicht reif sind. Diesmal müssen es ganz einfach die Guten schaffen, auf deren Seite wir die ganze Zeit geduldig ausgeharrt haben, als sie noch die Unterdrückten waren. Ihr schafft es, Jungs. Und Mädels, tschuldigung. Wohin dürfen wir euch das Geld überweisen, wenn eure Banken wieder offen und unsere Untersuchungen abgeschlossen sind?
Diejenigen, die sich jetzt süffisant über uns mockieren und uns vorwerfen, wir seien nicht immer ganz ehrlich mit uns und den andern, oder sich gar zur völlig unbegründeten und deplazierten Behauptung hinreissen lassen, es fehle uns nicht an Grundsätzen und Prinzipien, sondern an Konsequenz, verstehen rein gar nichts von Politik und von den harten Realitäten dieser Welt. Ja sie haben, das muss hier in aller Deutlichkeit gesagt werden, die Natur des Menschen an sich nicht begriffen.
Es ist nicht so, dass uns das Geld fehlen würde, um unsere Seele zurückzukaufen. Das Problem ist, dass wir es nicht wirklich ernst mit uns und den anderen meinen. Wahrscheinlich weil wir uns am Ende doch immer zu nahe und die anderen uns zu fern sind, um die richtige Distanz zu finden, die es brauchen würde, um uns schon im Alltag – nicht erst beim Ersteigen der Barrikaden – als Teil der Situation der anderen zu erkennen und damit zu beginnen, unser Verhalten zu verändern.
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