Lächerliche Passanten

Als ich gestern, es war Freitagnachmittag, mit meiner Frau im Café am Hof gegenüber vom Schwarzen Kamel sass, kamen mir auf einmal alle Leute, die vor unseren Augen vorübergingen, völlig lächerlich vor.

Der Unterschied zwischen dem Café am Hof und dem gegenüber liegenden Schwarzen Kamel sind weniger die leckeren Canapés, die es im Café am Hof nicht gibt, sondern der Umstand, dass man im Café am Hof sitzt, Kaffee trinkt und die Menschen vorbeiziehen sieht, während man im Schwarzen Kamel sitzt, damit die vorbeigehenden Menschen sehen können, dass man im Schwarzen Kamel sitzt.

Man kann übrigens im Café am Hof draussen auch sitzen und sich etwas ausruhen, wenn man vom Flanieren oder Einkaufen müde geworden ist, ohne etwas zu konsumieren. Allerdings nur an einem einzigen Zweiertisch, der direkt vor der hohen Bar steht und dort in einer Art totem Winkel, in dem einen die Kellner, obwohl sie dauernd daran vorbeigehen, nicht wahrnehmen und deshalb erst bedienen, nachdem man sich bemerkbar gemacht hat. Auch auf das Zahlen kann man am Ende entsprechend lange warten und ich vermute, man könnte auch gehen, ohne zu bezahlen, und es würde erst am Feierabend bemerkt, dass auf dem Tisch gebrauchtes Geschirr steht und vermutlich Gäste da waren.    

Das Lächerliche begann mit zwei jüngeren Herren, die offensichtlich ihr Wochenpensum geleistet hatten und auf dem Weg in ihr Wochenende waren. Sie sahen, wenn auch jung, dynamisch und modern frisiert, mit ihren dunkelblauen Anzügen dennoch absolut lächerlich aus, als trügen sie das Kostüm einer fünftägigen Aufführung, die gerade zu Ende gegangen war und am Montag wieder neu beginnen würde.  

Dass sie mir lächerlich vorkamen, wäre an sich noch nichts Besonderes gewesen, und ich würde es für sich genommen kaum hier erzählen. Männer in Anzügen kommen mir oft lächerlich vor, eigentlich mehr als nicht. Vielleicht deshalb, weil ich nun 35 Jahren lang selber in einem solchen Kostüm aufgetreten bin und Männer in dieser uniformhaften Bekleidung einfach nicht ganz ernst nehmen kann (Frauen in Hosenanzügen übrigens auch nicht), weil sie in ihren Anzügen und mit ihren Krawatten ganz offensichtlich etwas spielen, eine Rolle, die Anzüge erfordert, und lustigerweise darin vor und mit anderen auftreten, die ausnahmslos auch solche Anzüge tragen.  Das Besondere an diesem Nachmittag war, dass mir auch alle anderen Passanten, die keine Anzüge trugen, plötzlich lächerlich vorkamen.

Eine kleine Gruppe chinesischer Touristen fand ich total ulkig mit ihren Einkaufstaschen. Bei einem Mann, der nahe an unserem Tisch vorbeiging, musste ich mich zurückhalten, dass ich nicht laut in sein grimmiges Gesicht lachte, und ein anderer Mann tat beim Gehen das, was man „rouler la mécanique“ nennt, so ausgeprägt, dass es wirklich zum Schiessen komisch war und ich meine Frau auf seinen Macho-Gang hinwies. Zum Glück tat ich das diskret, denn er machte kurz darauf kehrt und trat an den Tisch neben uns, um ein Paar zu begrüssen, das – es wird mittlerweile niemanden mehr wundern – absolut lächerlich aussah.  

Als nächstes kam eine Frau vorbei in einem enganliegenden, ihren übergewichtigen Körper unvorteilhaft betonenden Outfit, die offenbar mit ihren Tragtaschen nicht wusste, wo sie als Nächstes hinwollte, denn sie sollte etwas später in der anderen Richtung noch einmal vorbeikommen und wieder etwas später ein drittes Mal, diesmal wieder aus ihrer ursprünglichen Richtung.

Obwohl ich sie in ihrer an Verwirrung grenzenden Unentschlossenheit bedauerte, musste ich gleichzeitig lachen über ihren Anblick, wie mich auch ein sie beim ersten Mal kreuzender Jüngling in kurzen Hosen amüsierte, wahrscheinlich ein Student, der eine dieser Freitag-Taschen, die angeblich aus alten Lastwagenplanen gefertigt werden, über der Schulter trug und mit seinem zu langen Oberkörper so weit nach vorne gebeugt ging, dass man Angst um ihn haben musste, er würde gleich vornüber fallen.  

Dann kam ein älteres Ehepaar, das ganz und gar normal aussah, und auf mich trotzdem und vielleicht gerade deshalb völlig lächerlich wirkte. Meine Frau hatte, obwohl sie in einem Buch las, unterdessen mitbekommen, dass ich dauernd lachen musste, und sie fragte mich, was mich in aller Welt so amüsiere. „Die Menschen!“ antwortete ich lachend, und zeigte auf zwei junge Frauen, die sich eingehakt hatten und die eine sprach auf die andere ein. „Schau Dir nur diese beiden an – sind sie nicht drollig?“. „Oder diese drei Männer (in Freizeitkleidung) – schau Dir den wichtigen Gang an, wie jeder einzelne von ihnen geht. Was die wohl denken, wohin sie gerade unterwegs sind, diese Komiker.“

Schräg hinter uns erzählte ein Mann jemandem von einem Haus, das er im Tirol besitzt und gerade mit hochwertigen Materialien umgebaut habe, und etwas später, ohne dass der andere (oder die andere) dazwischen wirklich zu Wort gekommen wäre, von einem anderen seiner Häuser, das er nächstens im Salzkammergut umbauen werde.  „Es war wohl,“ sagte ich zu ihm, indem ich mich zu ihm umdrehte, “gegenüber kein Tisch mehr frei?“. Er schaute mich verständnislos an und der andere, ein weisshaariger Mann in einem verblichenen Polo Shirt, den ich mir auch mit einer Matrosenmütze hätte vorstellen können, schüttelte seinen Kopf und lehnte sich dann wieder erwartungsfroh in seinen Sessel zurück, um zu erfahren, wo sein Gegenüber wohl das nächste seiner Häuser umbauen würde.  

Ich versuchte auszublenden, was hinter mir renoviert wurde, und amüsierte mich noch eine ganze Weile über die Parade der Menschen, die in unterschiedlichen Graden der Lächerlichkeit an uns vorbeizogen, dann gelang es mir nach mehreren Versuchen, die Aufmerksamkeit eines Kellners zu erhaschen und die Rechnung zu bezahlen, bevor unser Tisch wieder unsichtbar wurde. Auch die Kellner wirkten übrigens in ihren Uniformen lächerlich, sowohl der Chefkellner, der, nachdem er uns endlich entdeckt hatte, die Bestellung aufnahm und am Ende auch die Rechnung brachte, als auch sein junger Kollege, der dazwischen die Getränke gebracht hatte.

Auch auf dem Weg zum Taxi (meine Frau ist nach einer Operation noch nicht allzu gut zu Fuss) trafen wir auf lächerliche Menschen, und der Taxifahrer gab eine durchaus lustige Figur ab, so dass ich mich auf der Heimfahrt fragte, was es heute mit all den lächerlichen Leuten an sich habe, und ob die Menschen je wieder aufhören würden, lächerlich auszusehen für mich, denn ich war mir sehr bewusst, dass sie nur mir lächerlich vorkamen. Nur ich konnte an allen, die ich heute sah, das Lächerliche erkennen, weil es mir unmittelbar in die Augen sprang.  Meine Frau lachte zwar auch, wenn ich sie auf  diese oder jene Lächerlichkeit hinwies, aber sie wären ihr wohl alleine nicht aufgefallen, und sicher nicht bei allen Vorübergehenden.

Zuhause angekommen vermied ich es, in einen Spiegel zu schauen, nicht in den grossen gleich nach der Eingangstüre, und auch nicht beim Zähneputzen vor dem ins Bett gehen. Ich putzte meine Zähne im Dunkeln, als meine Frau schon schlief, nachdem ich ihr die Verbände gewechselt hatte, immer wieder leise kichernd, weil mir einzelne Menschen in den Sinn kamen, die ich zum Lachen gefunden hatte. Ich hatte irgendwie Angst, mich selber der Lächerlichkeit preiszugeben, die mich heute ob allem Menschlichen ergriffen hatte.    

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